Lispeln loswerden: Sigmatismus-Therapie bei Erwachsenen

Lispeln, fachsprachlich Sigmatismus, ist einer der häufigsten Artikulationsfehler bei Erwachsenen. Es handelt sich dabei um eine Fehlbildung des Lautes /s/, die durch eine Fehlstellung der Artikulationsorgane entsteht. Das Lispeln lässt sich nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen gut behandeln.

Wie entsteht Lispeln?

Die Lautbildung ist ein komplexer Vorgang, an dem verschiedene Organsysteme beteiligt sind. Deshalb können Aussprachestörungen durch ganz unterschiedliche Ursachen ausgelöst werden. Wie das Lispeln entsteht und warum es manchmal ganz plötzlich im Erwachsenenalter auftritt, verstehen wir am besten, wenn wir uns die Prinzipien der korrekten Artikulation des s-Lautes vergegenwärtigen.

Die Zunge formt das /s/

Bei der korrekten Lautbildung entsteht der Zischlaut /s/ dadurch, dass zwischen Zunge und Gaumen eine Engstelle gebildet wird. Die Zunge formt dazu eine Rinne, durch die der Luftstrom geführt wird. Passiert die Luft während der Artikulation des s-Lautes diese Engstelle, entsteht ein helles, scharfes und hochfrequentes Reibegeräusch.

Die Sprechorgane werden vom Gehirn gesteuert

Zu den Sprechorganen zählen die Zunge, die Mundlippen, der Kehlkopf und die Lunge. Um beim Sprechen die schnell wechselnden Sprachlaute bilden zu können, müssen die Sprechorgane sehr schnelle, exakte und koordinierte Bewegungen ausführen. Gesteuert werden diese Bewegungen durch spezialisierte Areale unseres Großhirns, wie z.B. den Motorcortex oder bestimmte Hirnnerven.

Die Zunge formt das /s/,
die Hörwahrnehmung kontrolliert
das akustische Ergebnis.

Die Hörwahrnehmung kontrolliert die Artikulation

Unser Sprachsystem verfügt über sehr genaue Informationen darüber, wie die Sprachlaute klingen müssen. Wenn wir sprechen, überprüft unsere Hörwahrnehmung permanent, ob die Sprachlaute diesen Erwartungen entsprechen. Fehlerhaft gebildete Laute werden erkannt und sofort korrigiert.
Ein gutes Hörvermögen und eine genaue Hörwahrnehmung sind daher eine wichtige Voraussetzung für die korrekte Artikulation.

Gute Mundmotorik

Beim Sprechen produzieren wir in schneller Abfolge wechselnde Sprachlaute. Die Artikulationsorgane und insbesondere die Zunge sind dabei ständig aktiv und führen sehr schnelle, kleine und zielgenaue Bewegungen aus. Besonders die Bildung des s-Lautes erfordert ein hohes Maß an Präzision und Feinspannung der Zungenmuskulatur. Deshalb ist eine gute Mundmotorik eine wichtige Voraussetzung für eine deutliche Artikulation und die korrekte Bildung der Zischlaute.

Lispeln ist eine Aussprachestörung.
Sie kann sprachtherapeutisch
gut behandelt werden.

Was ist eine Dyslalie?

Eine Störung der Aussprache wird fachsprachlich als Dyslalie bezeichnet. Dyslalien können ganz unterschiedliche Symptome aufweisen, wie z.B. Lautfehlbildungen, Lautersetzungen oder Vereinfachungen von Lautverbindungen.

Einteilung von Artikulationsstörungen

Je mehr Laute von einer Aussprachestörung betroffen sind, desto unverständlicher ist die Aussprache. Dyslalien werden deshalb nach ihrem Schweregrad in drei Gruppen unterteilt:

  • partielle Dyslalie: Fehlbildung von 1-2 Sprachlauten.
  • multiple Dyslalie: Fehlbildung von 3-4 Sprachlauten
  • universelle Dyslalie: Fehlbildung von 5 Sprachlauten und mehr

Lispeln ist eine leichtgradige Aussprachestörung und wird fachsprachlich als partielle Dyslalie bezeichnet.

Warum lispelt man?

Die meisten Kinder lernen in den ersten 6 Jahren ihrer Sprech- und Sprachentwicklung, wie die Zischlaute korrekt gebildet werden. Bei ungefähr 10 % der Kinder entwickeln sich aber Artikulationsfehler. Wenn diese nicht im Kindesalter behandelt werden, dann können solche Sprechfehler auch im Erwachsenenalter bestehen bleiben. Das Lispeln kann aber auch plötzlich im Erwachsenenalter auftreten.

Ursachen

Wenn bei Erwachsenen ein Sigmatismus auftritt, kann das die folgenden Ursachen haben:

  • Unbehandelte Sprechstörungen des Kindesalters.
  • Myofunktionelle Störungen mit schwacher Mundmotorik: Um die korrekte Zungenposition einnehmen zu können, bedarf es einer guten „Feinspannung“ der Zunge. Myofunktionelle Störungen zeichnen sich durch verschiedene Funktionseinschränkungen der Mundmotorik aus und sind bei Kindern häufig die Ursache für das Lispeln. Sie können auch bei Erwachsenen auftreten.
  • Hörstörungen: Altersbedingte Hörstörungen beginnen meistens mit einer Hochtonschwerhörigkeit. Dabei tritt der Hörverlust zuerst in den hohen Frequenzbereichen auf, so dass die hellen Zischlaute nicht mehr korrekt wahrgenommen werden können.
  • Zahnprothesen: Insbesondere neu angepasste Zahnprothesen verändern die anatomischen Verhältnisse im Mundraum. Sie können der Grund dafür sein, dass die Zunge nicht mehr die richtige Artikulationsstellung einnehmen kann.
  • Neurogene Sprech- und Sprachstörungen: Neurologische Erkrankungen wie z.B. der Schlaganfall können zu Funktionseinschränkungen im Gehirn führen. Wenn sprech- und sprachverarbeitende Areale betroffen sind, können Artikulationsstörungen die Folge sein.

Für die Bildung des s-Lautes bedarf es einer guten Zungenmotorik.

Symptomatik

Der Sigmatismus entsteht meist durch eine Fehlstellung der Zunge

Durch eine fehlerhafte Artikulationsstellung entsteht bei der Lautbildung des s-Lautes eine unzureichende Engstelle zwischen Gaumen und Zunge. Der dadurch entstehende Zischlaut zeichnet sich akustisch durch ein reduziertes Hochtonspektrum aus und wird akustisch als Lispeln wahrgenommen.

Unterschiedliche Formen des Sigmatismus

Je nachdem, in welcher Weise das /s/ fehlgebildet wird, unterscheiden wir drei unterschiedliche Formen des Sigmatismus:

  • Sigmatismus interdentalis:  Die Zunge befindet sich  zwischen den Zähnen, ähnlich wie beim englischen „th“.
  • Sigmatismus addentalis: Die Zunge liegt hinter den Zähnen, berührt diese aber leicht.
  • Sigmatismus lateralis: zwischen Zungenrändern und Gaumen kommt es zu einem unvollständigen Abschluss, so dass die Luft seitlich entweicht.

Lispeln sollte dann behandelt werden,
wenn die Verständlichkeit eingeschränkt ist
oder eine kommunikative Verunsicherung besteht.

Was kann man gegen das Lispeln tun?

Kann man das Lispeln selbst behandeln?

Davon würden wir abraten. Um eine Artikulationsstörung erfolgreich zu behandeln, bedarf es einer genauen Sprachdiagnostik, eines individuellen Behandlungsplans und eines systematischen Vorgehens. Sich das Lispeln selbst abzugewöhnen, halten wir für kompliziert, fehleranfällig und mühsam. Aus unserer Sicht ist es viel erfolgsversprechender einen erfahrenen Sprachtherapeuten zu Rate zu ziehen.

Sollte ein Sigmatismus bei Erwachsenen überhaupt behandelt werden?

Aus unserer Sicht sollte eine Artikulationsstörung bei Erwachsenen immer dann behandelt werden, wenn es zu einer eingeschränkten Verständlichkeit kommt oder wenn durch das Lispeln eine kommunikative Verunsicherung entsteht.

Eingeschränkte Verständlichkeit: Ein Sigmatismus alleine führt in der Regel noch nicht zur eingeschränkten Verständlichkeit. Bestehen allerdings darüberhinaus noch weitere sprechtechnische Defizite, kann dies durchaus zu einer undeutlichen Aussprache führen.

Kommunikative Verunsicherung: Artikulationsfehler werden von vielen Menschen als Makel angesehen. Da unserer Selbstwertgefühl in engem Zusammenhang mit unserer Sprechweise steht, können sich sprechtechnische Schwächen sehr stark auf unser Selbstbewusstsein auswirken.

Der Arzt verordnet die Sprachtherapie,
die Krankenkasse übernimmt den Großteil der Kosten.

Der Arzt verordnet die Sprachtherapie

Ein Sigmatismus ist grundsätzlich eine eindeutige Indikation für eine logopädische Therapie. Damit diese in einer logopädischen Praxis behandelt werden kann, benötigen Sie eine ärztliche Verordnung für eine Sprachtherapie. Sprechen Sie daher am besten als erstes ihren Haus- oder HNO-Arzt an. Wenn dieser eine eindeutige Artikulationsstörung feststellt, wird er Ihnen eine Verordnung zur logopädischen Therapie ausstellen. Mit dieser können Sie sich in einer logopädischen Praxis anmelden.

Die Krankenkasse übernimmt die Kosten

Sollte ihr Arzt eine logopädische Behandlung verordnet haben, übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen einen Großteil der Behandlungskosten, nämlich 90%. Private Krankenversicherungen tragen die Kosten in der Regel ebenfalls. In welcher Höhe, hängt aber immer von der jeweiligen Versicherung und des gewählten Versicherungstarifs ab.

Der Patient muss gut hören können

Die Voraussetzung für eine Artikulationstherapie ist ein ausreichendes Hörvermögen. Hörstörungen müssen daher HNO-ärztlich abgeklärt werden und ggfs. mit Hörgeräten versorgt werden.

Durch ein systematisches Vorgehen in der Sprachtherapie
lässt sich der Sigmatismus
auch im Erwachsenenalter meistens gut behandeln.

Lispeln logopädisch behandeln

Kann man sich das Lispeln einfach abgewöhnen?

Abgewöhnen ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck.

Sprechen ist ein hochautomatisierter Vorgang und vor allem bei Erwachsenen sind die Bewegungsmuster fest verankert. Eine Veränderung der Sprechtechnik gelingt daher nur durch ein sinnvolles Behandlungskonzept und ein systematisches therapeutisches Vorgehen. Unser Vorgehen bei der Behandlung des Sigmatismus orientiert sich an der Artikulationtherapie nach Charles van Riper, der diese Methode bereits in der Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelt hat. Als sehr wirksam hat sich darüberhinaus die Ergänzung dieser klassischen Therapiemethode durch die computergestützte Schallanalyse erwiesen, die wir immer begleitend einsetzen.

Aufbau der Sigmatismus-Therapie

  • Hörtraining: Der Klient lernt, den korrekten vom fehlgebildeten s-Laut zu unterscheiden.
  • Förderung der Mundmotorik: Damit die Zunge die korrekte Artikulationsstellung einnehmen kann, ist in den meisten Fällen die Förderung der Mundmotorik vor allem durch spezielle Zungenübungen erforderlich.
  • Anbahnung des korrekten s-Lautes: Der Klient lernt die neue Artikulationsstellung kennen und produziert die ersten korrekten s-Laute.
  • Stabilisierung  des korrekten Lautes auf Silben-, Wort- und Satzebene: in zunehmend komplexeren Sprech- und Sprachübungen wird die korrekte Artikulation im weiteren Verlauf gefestigt.
  • Transfer in die Spontansprache: Der Klient lernt in diesem Therapieschritt den korrekten s-Laut in die Spontansprache zu übertragen.

Schallanalyseprogramme in der Sprachtherapie

Computergestützte Schallanalyse-Programme oder Smartphone-Apps sind in der Lage, Geräusche und Klänge sichtbar zu machen. Auf diese Weise erhalten wir viele wichtige Informationen, die uns in der Artikulationstherapie helfen, die richtige Artikulationsstellung zu finden. Durch den Einsatz dieser Verfahren erhält der Patient ein direktes Feedback über die Qualität seiner Lautbildung und erfährt ganz unmittelbar, welche Artikulationsstellung zu den besten Ergebnissen führt.

Zu Hause trainieren

In der Sprachtherapie lernen die Patienten, worauf es bei der korrekten Artikulation ankommt. Sie lernen, den s-Laut richtig zu bilden und übertragen ihn dann auf Wörter, Sätze und Texte. Wer sein Lispeln dauerhaft loswerden möchte, der kommt aber nicht darum herum, auch zu Hause zu trainieren. Denn nur durch tägliches üben, lassen sich lange praktizierte Bewegungsmuster erfolgreich verändern.

Sigmatismus-Übungen für zu Hause

Beim regelmäßigen häuslichen Üben geht es darum, die in der Sprachtherapie neu erarbeitete Artikulationsstellung des s-Lautes zu stabilisieren und die schnellen Lautwechsel beim freien Sprechen zu üben. Die folgenden Sigmatismus-Übungen können dabei helfen:

  • Isolierte Bildung des korrekten s-Lautes auf Lautebene mit begleitender Frequenzanalyse über eine Smartphone-App
  • Artikulation des s-Lautes in Kombination mit anderen Konsonanten in zunehmendem Artikulationstempo
  • Lesen eines Textes mit verlängerten s-Lauten
  • Zungenbrecher mit s-Lauten in ansteigendem Sprechtempo
  • Mundmotorikübungen
  • Kurzvorträge mit Audioaufnahme z.B. über die Smartphone-App zur Kontrolle der korrekten Artikulation.
Lispen (Simatismus), Sprachtherapie mit dem Computer

Der Computer unterstützt die klassische logopädische Therapie

Wie lange dauert eine Therapie?

Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten, da der Therapieerfolg von vielen Faktoren abhängt. In den meisten Fällen lässt sich der Sigmatismus bei Erwachsenen aber in 10-20 Therapieeinheiten erfolgreich behandeln.

Ist eine Online-Therapie möglich?

Ja. Aus logopädischer Sicht lässt sich eine Artikulationstherapie sehr gut als Online-Behandlung durchführen. Falls der Arzt dies verordnet und die Krankenkasse keine Einwände gegen eine Online-Behandlung hat, bieten wir diese gerne an.

Logopädische Beratung

Lispeln Sie selbst und haben Sie Fragen zur logopädischen Behandlung des Sigmatismus? Dann schreiben Sie uns.

Wer sich das Lispeln abtrainieren möchte, muss regelmäßig üben.